Text 3


Christoph Grau

Wann kann ich vorbeikommen?

Meine Verabredung ist ein Atelierbesuch.

Auf dem Weg dorthin denke ich über Dinge nach, die es für mich noch gar nicht gibt. Natürlich, Bilder werde ich zu sehen bekommen. Viele Bilder? Nur wenige, ausgesuchte Bilder?  Stehen sie wild gestapelt, das Gemalte zur Wand gedreht? Werde ich sie erkennen können?

Und ich werde etwas sagen müssen. Werde ich etwas zu sagen haben?

Hoisdorf. Ein sauber aufgeräumtes, vormittäglich leeres Dorf, Vorgärten wie Ornamente, die Felder und Wiesen von Knickhecken schön gerahmt. Ein anmutiges, altes Haus, umgeben von einem romantischen Garten. Auf dem Tisch im Atelier zwei Teller. Auf dem einen 7 „Brownies“, 6 in einem Kreis gelegt, den 7. in die Mitte. Auf dem anderen Teller 4 hellgelbe Äpfel, die in einem Quadrat liegen. Die Bilder stehen sichtbar um mich herum. Wir hängen die großen Bilder, eins nach dem anderen, an die Stirnwand des Ateliers.

Nach einer Weile fällt mir auf, daß die großzügigen Hochformate am oberen und unteren Rand häufig mit kräftigen aber unterschiedlich gewichteten, horizontalen Farbbalken gesichert sind. Dadurch breiten sich die Bildflächen leichtfüßig aus, öffnet sich das Hochformat zu einer weiten Bühne für ein seltsames „Posing“ fragmentarischer Körper. Ein gemusterter Rock, mehrere elegante Beine, eine Tasche, leichte Handbewegungen, Schuhe, die keinen Boden berühren. Die Formen schweben in einem als Farbe bestimmten Raum, voreinander, nebeneinander, mal weiter zurück, und geben einen Rythmus vor.

Es gibt feste, von breiten Linien gefasste Formen, die man zuerst sieht, wie die Folge einer Percussion, und dann weite, weiche, sich im Farbfeld auflösende Melodien. Glanz wechselt mit matten Partien, befreundete Farben treffen auf Fremdlinge. Über Allem liegt das Ornament, als gäbe es eine demokratische Gesellschaft zu fassen.

Wären da nicht die Fehler, die Abweichungen von den Vorgaben, wäre da nicht die Malerei.

Mein ganzes, bisheriges Konzeptkonstrukt verliert das Gleichgewicht. Jetzt entdecke ich in den beiden rahmenden Querstreifen Übermalungen, Kratzer, schrundige Farben. Das dazwischen liegende Bildfeld ignoriert die ihm voreilig zugewiesene Aufgabe, die Formen zu tragen und verselbstständigt sich zu zwielichtiger Malerei, die das ironisch eingerichtete moderne Design der Gliederung unterläuft und den Ornamenten und Pattern ein lebendiges Teil Unberechenbarkeit zurückgeben, etwas, was den Mustern unseres Denkens so leicht verloren geht.

Ist Jadranko Rebec ein Betrüger? Er verdeckt seine wahren Absichten. Er gibt nur vor, daß er an
den fragmentarischen Geschichten einiger junger Burschen und an den hübschen jungen Frauen, die seinen Bildern zu Formen verhelfen, ein wirkliches Interesse hat, dass es um Mode, frische Stoffe und Design geht. Diese Welt des Layouts, der Grafik, des Schönen Scheins und der Verlockung ist der Katalysator des eigentlichen Bildes. In Wirklichkeit spürt Rebec dem schlummernden Wesen der Farbe nach.

Zurückfahren. Wieder auf der Landstraße. Ich kann jetzt hinter die sauberen Gardinen und Rolläden der Dorfhäuser blicken und entdecke die Wildnis des häuslichen Lebens und in der Tiefe der Knickhecken, vermute ich ein geniales Gleichgewicht.

 

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