Text_1


Prof. Dr. Werner Hofmann,

Lieber Jadranko Rebec,

der kurze Besuch in Ihrem Atelier war voll von Eindrücken: Ihre Bilder, immer wieder die Pferde draußen auf der Weide, der schnurrende Kater, der uns erwartungsvoll umschlich.

Das milde, verhangene Sonnenlicht passte gut zu den verschleierten, verwischten Gestalten auf den Leinwänden Ihrer Fashionable Paintings.

Wieder einmal eine englische Formulierung, deren Doppelsinn den Sachverhalt trifft, indem er ihn in Frage stellt. Es geht um Modeklischees, die Sie verfremden und auf eine neue Art „fashionable“ machen. Die Herkunft der Figuren ist offenkundig: es sind die Statisten, die in den Katalogen der Versandhäuser den Chic proben, der dann in alle Welt geht – auch nach Hoisdorf. Der Malerblick hat diese glatten Allerweltsposen durchschaut und ihnen die zögernde Anmut von Anfängern zurückgegeben, die sich noch etwas unbeholfen anbieten.

Aber posieren diese jungen Menschen anders als die Modelle (Vorläufer der „Models“!), die in den Aktklassen der Akademien seit Jahrhunderten Gebärden produzieren, die fast allesamt auf antike Vorbilder zurückgehen? Von diesen Pathosformeln lebt die europäische Kunst unverdrossen seit dem Ende des Mittelalters. Schmerz, Begehren, Herrscherwürde – alles hat seine Formel…

Darum meine ich, man sollte diese Models mit Nachsicht ansehen, besser noch: wie sie die klassischen Formeln der Selbstanbietung wieder – dank Ihrer Kunstgriffe – mit einer gewissen Unschuld versehen, bieten sie uns die Chance, das leere Klischee mit der Ironie der Sympathie wieder zum Leben zu erwecken – obwohl sie nur Gesichtsschablonen tragen und manchmal sogar die Köpfe fehlen.

Die geheime Sympathie, die Sie für die von den Werbephotographen inszenierten Körperrituale empfinden, wird vollends in der farbigen Be-handlung deutlich. Harte Kontraste und grelle Signalwirkungen, wie sie der Pop-Jargon bevorzugt, suchen wir vergebens. Alles ist eingebettet in leise Farbakkorde, die den Models ebenso gut tun wie unseren Augen, die sich schnell auf die fein abgestuften Nuancen einstellen. Darin steckt eine Malkultur, deren Herkunft, wie mir scheint, Ihnen gar nicht so recht bewusst ist, die ich aber – wie es Kunsthistoriker gerne tun, wenn sie einen Zusammenhang entdeckt haben – ohne Zögern benenne: Es ist die große französische Maltradition etwa eines Chardin, die vor hundert Jahren von Bonnard und Vuillard wieder entdeckt wurde. Es ist die Tradition der abgestuften Valeurs und der sorgfältig gesetzten Flächenspannungen, woraus das Bildgeschehen etwas Leichtes, Schwebendes empfängt. Man muss wieder die berühmten Sätze zitieren, mit denen Maurice Denis 1890 das, was er den Neotraditionismus nannte, definierte; sie veranschaulichen den neuen Bildbegriff, die neue Bildrealität: „Ein Bild – bevor es ein Schlachtross, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote ist – ist wesentlich eine plane, von Farben in einer bestimmten Anordnung bedeckte Oberfläche.“

Seitdem hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass ein Bild nicht primär ein Fenster ist, das sich in die Welt öffnet, sondern eine eigenständige Fläche, eine ideale Ebene, auf der sich die Beziehungen von Körpern abspielen. Damit siegt die zweite über die dritte Dimension. Diese Beziehungen sind in Ihren Bildern mit Händen zu greifen: die Gestalten sind abgeflacht, beinahe körperlos, sie werden fragmentiert dargeboten,  und dieses Weglassen hebt die Zwischenräume – etwa im Bild „Raffi-nesse“ – so hervor, dass sie einen eigenen Wert bekommen, nicht nur als Intervalle zählen. Auch andere Leerstellen – die Köpfe – beginnen zu sprechen.
Das Bild als Fläche besitzt Eigenwerte, denen die Werbung schon längst auf der Spur ist: Sie weiß, dass Flächenbeziehungen sich leichter dem Auge einprägen als komplizierte perspektivische Raumbeziehungen. Es lohnt sich für einen Maler immer noch, diese Flächenhaftigkeit aus der Verflachung, die ihr das Plakat oft zufügt, wieder zurückzuholen und mit der ruhigen Sprache der Malerei zu versehen, einer Sprache, die keine Produkte anpreist, da sie mit sich selbst genug zu tun hat.

Ein Wort noch zu den kleinformatigen Pattern-Reihen. Als Sie eine Reihe von zwölf Bildern an der Wand anbrachten, schien das zunächst austauschbar, dann kam eine zweite Reihe dazu und meine Frau meinte spontan: zu viel. Das stimmt: Eine Reihe trägt sich allein am überzeugendsten. Mir kam der Gedanke, diese Anordnung mit Wörtern, ihre zwölf Bestandteile mit Buchstaben zu vergleichen. Jedes Bild ein Buchstabe, alle zusammen eine Verkettung aus autonomen Teilen. Lauter Vokale und Konsonanten, keine Diphtonge, keine Zischlaute. Die Reihe, ein Phantasiewort, lässt sich Stück für Stück buchstabieren, aber auch als Ganzes ablesen wie ein Wort aus einer uns fremden Sprache, aus „Buchstaben“ bestehend, die uns nicht vertraut sind. Oder wie ein Kunstwort, eine Partitur.

Ich muss mich korrigieren, denn die „Buchstaben“ dieses Spiels kommen aus einem uns durchaus vertrauten Alltagsbereich. Die einzelnen Bildmuster enthalten Zitate von Dekorationsstoffen, Handtüchern, Vorhängen usw.

Aus dem gewohnten Kontext unserer Wohnungen oder Gaststätten entfernt, bekommen diese Muster den Reiz einer Entfremdung, eine neue, intime und anspruchslose Bildpoesie. Überdies hängen, wie mir scheint, die kleinen Pattern mit den großen Fashionable Paintings zusammen,in die ja auch Alltags-Ornamente eingesickert sind.
Überhaupt: Entfremdung – vielleicht wäre es richtiger von einer Befremdung zu sprechen, die sich beim Bildbetrachten einstellt – nicht als plötzliche Schockwirkung (worauf die visuellen Überfälle der Werbung angelegt sind), sondern als Ergebnis geruhsamen Hinsehens und Hineinsehens, als Gewinn des langsamen Eintretens in diese niemals vorlaute Welt der Bilder. So bieten Sie, lieber Jadranko Rebec, den abgetragenen Mustern und verschlissenen Werbeformeln ein neues Leben an – im Exil der Malerei.

Es wäre schön, wenn die Besucher Ihrer Ausstellung solche (und natürlich auch andere) Eindrücke empfingen.

Das wünscht Ihnen
Ihr Werner Hofmann

 

zurück